Das Jahr der Extreme
Radiokolleg, 2.1.2023-5.1.2023
Gestaltung: Johannes Gelich
1923 – das Jahr der Extreme
Teil 1
1923: Reparationszahlungen und Hyperinflation *
Kaum ein Jahres-Jubiläum hat in letzter Zeit eine derartige Fülle an Buch-Publikationen nach sich gezogen wie das Jahr 1923. Vor allem die Hyperinflation in Österreich 1922 und in Deutschland 1923 hat viele Kommentatoren veranlasst, unsere Gegenwart im Spiegel der Ereignisse von 1923 zu betrachten. Auch die zunehmende politische Radikalisierung und der Hitler-Putsch im November 1923 geben vielen Autor:innen heute Anlass zur Warnung vor den Konsequenzen, die Inflation und politische Instabilität nach sich ziehen können. Doch sind derartige Vergleiche tatsächlich angebracht?
Am 11.1. 1923 marschieren 60.000 belgische und französische Soldaten ins Ruhrgebiet ein, weil Deutschland mit den, im Versailler Vertrag fixierten Reparationszahlungen an Frankreich im Rückstand ist. Die Franzosen beschlagnahmen die gelagerte Kohle und wollen die gesamte Kohleindustrie im Ruhrgebiet unter Ihre Kontrolle bringen. Der Industrielle Hugo Stinnes organisiert daraufhin die Übersiedelung des Kohlesyndikates und des Kontors mit allen Akten nach Hamburg. Die gesamte deutsche Kohleindustrie wird lahmgelegt, die Notenpresse wird angefahren, Industriearbeiter und Beamte fürs Nichtstun bezahlt. Mit dem sogenannten “Passiven Widerstand” beginnt die Hyperinflation in Deutschland. In Österreich hat sich die wirtschaftliche Lage nach der Hyperinflation im Jahr 1922 durch einen goldbesicherten Kredit des Völkerbundes inzwischen beruhigt.