Feature von Johannes Gelich
Tonspuren, ORF, Ö1
Februar 2021
Den Aussteigern und Nein-Sagern in der Literaturgeschichte ist eines gemeinsam: Sie entscheiden sich aus freien Stücken, in einem als ungerecht, banal oder unerträglich empfundenen Dasein nicht mehr mitzuspielen. Der wohl älteste Totalverweigerer war der sagenumwobene Diogenes von Sinope, genannt der Hund, der als obdachloser Einsiedler in einer Pithos, einem Faß als Unterschlupf gewohnt haben soll. Aber auch die Frauen gingen in der klassischen Antike als Verweigerinnen in die Weltliteratur ein: In der pazifistischen Komödie “Lysistrata” von Aristophanes verschwören sich die Frauen Athens und Spartas und beschließen, sich den kriegsführenden Männern sexuell zu verweigern, um den Peloponnesischen Krieg nach 20 Jahren endlich zu beenden.
Auch der Ritter von der traurigen Gestalt, Don Quijote, hat als Held der Verweigerung Literaturgeschichte geschrieben: Sein Kampf gegen die Windmühlen gilt gleichsam als Kampf gegen den Lauf der Zeit, der letztendlich in das einsame aber idealistische Leben des Einsiedlers führt. Im 19. Jahrhundert erlebte der unangepasste Taugenichts erneut eine Renaissance: im Falle von Iwan Gontscharows Figur des faulen russischen Adligen Ilja Iljitsch Oblomow, der seine Umwelt durch seine Passivität ebenso wahnsinnig macht wie “Bartleby der Schreiber” in Herman Melvilles gleichnamiger Erzählung, der sich eines Tages weigert, weitere Kopier-Aufträge seines Chefs auszuführen.
Auch im 20. Jahrhundert machten sich Romanhelden auf, um zumeist in Einsamkeit den wahren Sinn des Lebens zu erforschen: das Nichts und das Nichts tun. Das von der chinesischen Philosophie geprägete Wu wei, das Nichthandeln, beschäftigt auch den Helden von Jack Kerouacs Roman “The Dharma Bums”, der vom Zen-Buddhismus inspiriert ein Leben in der Einsamkeit der Berge wählt. Und auch T.C. Boyle widmet seinen Roman Drop City den Aussteigern und Drop-Outs, die 1970 in einer Kommune ein von Drogen und freier Sexualität geprägtes Leben fernab der als menschen- und geistfeindlichen Konsumgesellschaft zu führen versuchen. Und auch durch die deutsche Literaturgeschichte schlendern die Steppenwölfe (Hesse), Systemverweigerer und Helden des Rückzugs (Genazino) im Zeitlupentempo, um dem immer schnelleren und unerbittlich materialistischen Leben ein Stück Rebellion und damit Individualität abzutrotzen.