Narrative der Macht im Zeitalter der Verschwörungstheorien
Radiokolleg, 3.-5.1.2022, ORF, Ö1
Gestaltung: Johannes Gelich
Er war zweifelsohne der italienische Großmeister des historischen Romans: Umberto Eco. Am 5. Jänner 1932 im italienischen Alessandria geboren, erlebte Eco das Ende des 2. Weltkrieges als historische Epochenwende am eigenen Leib. Als die Partisanen nach der Eroberung eines kleinen Bergdorfs im südlichen Piemont Freudenschüsse in die Luft feuerten, bekam der junge Umberto erstmals eine Ahnung von Freiheit: “Wir Kinder stürzten hin, um die Patronenhülsen aufzusammeln, die kostbare Sammlerobjekte waren, aber ich hatte zugleich gelernt, dass Redefreiheit auch Freiheit von Rhetorik bedeutete”.
Die Auseinandersetzung mit der Sprache der Macht, der Rhetorik des totalitären Machtanspruchs sollte den späteren Schriftsteller, Philosophen und Semiotiker ein Leben lang begleiten: in seinem ersten, 1980 erschienenen Roman “Der Name der Rose”, der ihn über Nacht weltberühmt machte, beschäftigte sich der Autor mit der Frage, inwieweit das Lachen und die Komödie dem autoritären Machtanspruch der Kirche im Mittelalter zuwiderliefen.
Die Skepsis gegenüber der Sprache der Macht und dem autoritären Herrschaftsanspruch machte bei Eco aber auch nicht vor der Macht des Erzählens halt. In diesem Sinne sind Ecos Bücher, Figuren und Motive stets mit einer Fülle an Anspielungen, Zitaten und theoretischen Diskursen angereichert und in Beziehung gesetzt. Durch diese “Echos der Intertextualität” wird auch die Funktion des allwissenden, mächtigen Erzählers in Frage gestellt. Ganz nach dem Motto: “Alle Bücher sprechen immer von anderen Büchern und jede Geschichte erzählt eine längst schon erzählte Geschichte.”
Auch in seinen Folgeromanen beschäftigte sich Eco mit Fragen über die Narrative der Macht und den Theorien der Geschichtsschreibung. So geht es etwa in den Romanen “Das Foucaultsche Pendel” oder “Der Friedhof in Prag” um die Fiktionalität von Verschwörungstheorien und die Beliebigkeit, mit der sich historische Tatsachen zu irrealen Verschwörungen umdichten lassen.
Doch Umberto Eco war nicht nur Romancier, sondern auch Kultur- und Wissenschaftstheoretiker. So gehören seine frühen Schriften “Wie man eine wissenschaftliche Abschlussarbeit schreibt”, “Das offene Kunstwerk” oder “Einführung in die Semiotik” heute zum Grundlagenwissen für den gesamten Bereich der Geisteswissenschaften.
Zu Ecos 90. Geburtstag hat der Hanser-Verlag zwei Bände mit Vorträgen und Artikeln des 2016 verstorbenen “Universalgelehrten” herausgegeben. Die beiden Titel reflektieren denn auch die vielleicht wichtigsten Themen, die den italienischen Intellektuellen sowohl als Theoretiker wie auch als Romancier beschäftigten: “Der ewige Faschismus” und “Verschwörungen”. Angesichts der weit verbreiteten Corona-Verschwörungstheorien könnte die Wiederlektüre von Umberto Eco in finsteren Zeiten Funken der Aufklärung beisteuern.