REZENSION IM STANDARD – Das T-Shirt meiner Frau

Johannes Gelich: Orange Anoraks

Nicole Streitler-Kastberger
10. April 2015, 18:30

Johannes Gelichs Erzählungen kreisen um die Seltsamkeiten unseres digitalen Lebens. Sein Schreiben wird von ihnen aber nicht wirklich affiziert

Johannes Gelich ist vor allem für die Schonungslosigkeit seines Blicks bekannt, für einen bissigen und handfesten Stil. Dieser paart sich in seinem letzten Roman, Wir sind die Lebenden (2013), mit einem ungemein sympathischen Grundgrant, der die Widernisse des modernen Lebens nicht einfach so hinnehmen will, wie sie sind, sondern dagegen ankämpft. So etwa durch das noch selten zu literarischen Ehren gekommene Genre des Beschwerdebriefs, das Gelichs Hauptfigur Nepomuk Lakoter zur Perfektion treibt.

Dieser Lakoter ist aber zuallererst eine aus einem intertextuellen Spiel mit Iwan Gontscharows Oblomow gezeugte Couchpotato-Figur, der das reale Leben vor lauter Reflexion allmählich abhanden kommt. Vieles von dem, was junge Erwachsene heute umtreibt, ist in ihn eingeflossen. Seine Erregungen sind die junger urbaner Menschen mit hohem Bildungsniveau, denen die alten Werte suspekt geworden sind, ohne dass sie an deren Stelle neue setzen könnten. So leben sie in einer schizoiden Unverbindlichkeit, in einem statischen Nicht-mehr und Noch-nicht, wie es Soziologen den zeitgenössischen Unerwachsenen gerne konstatieren.


In seinen Erzählungen schreibt Gelich an seiner Phänomenologie des urbanen Alltagslebens junger Erwachsener weiter. Dabei hat sich seinen Texten die Durchdringung unserer Lebenswelt durch das Digitale oft ganz unmittelbar eingeschrieben. So etwa der Erzählung Das darfst du nicht, in der sich ein Schriftsteller seine kreativen Pausen durch Cybersex auffüllt, dabei aber eigentlich mehr am realen Liebesleben seiner ätherischen jungen Nachbarin interessiert ist.

Vom schönen Schein unserer Hochglanzfotowelt erzählt der Text Fremde Haut, in dem ein Copyshopbesitzer via Foto über das vermeintliche Familienglück eines Kunden getäuscht wird, dann aber erkennen muss, dass Bilder oft falsche Geschichten erzählen. Witzig auch die Figur des Angestellten in Lysandra cormion Nabokov, der seinen redegewaltigen Chef, bei dem er eingeladen ist, mit der geballten Ladung seines wohl aus Wikipedia bezogenen Nabokov- und Schmetterlingswissens endlich einmal in Grund und Boden reden kann.
Liebe, schöner Schein und Zeitgeist

Viele der sechzehn Erzählungen remixen auch die gute alte Himmelsmacht Liebe. In der Eingangserzählung Sie hießen Magda reflektiert der Autor über die Austauschbarkeit kurzfristiger Liebesbeziehungen. In dem umfangreichsten Text des Bandes, Abschied der Vampire, macht er in komplementärer Weise die Kalamität langer und intensiver Liebesbeziehungen im Augenblick ihres Scheiterns zum Thema.

In Spielen wir weiter? verquickt der Autor das Polizeiautospiel zwischen Vater und Kind mit einem letalen Fenstersprung einer jungen Frau aus Liebeskummer, wobei die Sorge des Vaters dem Unterfangen gilt, seinen Sohn von den Vorgängen auf der Straße möglichst nichts mitbekommen zu lassen. Der doppelte Blick des Vaters nach draußen und nach drinnen strukturiert dabei die Erzählung und veranschaulicht in plastischer Weise die strukturelle Bizephalität von Elternschaft.

Immer wieder finden sich in dem Band Reflexionen über Vaterschaft und Mutterschaft, über die Mühen des Erziehens und die Kämpfe zwischen Eltern und Kindern, aber auch zwischen den sogenannten Erziehungsberechtigten. Gelich erweist sich dabei als ein genauer und reflektierter Beobachter. Ein gutes Auge hat er auch für komische und nervige Alltagssituationen, die jeder kennt: flüchtige Bekannte, denen man auf der Straße begegnet, ohne dies wirklich zu wollen und ohne deswegen die Bekanntschaft vertiefen zu wollen, auch wenn man sich dazu geradezu genötigt fühlt; oder die Peinlichkeit eines vermeintlich modischen Kleidungsstückes. Mit einem fast weiblichen Blick konstatiert eine der männlichen Figuren, wie schade es doch sei, dass im Winter alle Leute nur graue oder schwarze Mäntel trügen. Er habe sich deswegen einen orangen Anorak gekauft. Wie ein Fanal steht dieser Anorak in dem Buch: Wer sich allzu sehr dem Zeitgeist unterwirft, läuft Gefahr, sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Gelichs Erzählungen schaffen den Spagat zwischen Zeitgeist und Tradition, und das ist gut so. (Nicole Streitler-Kastberger, Album, DER STANDARD, 11./12.4.2015)

Johannes Gelich, “Das T-Shirt meiner Frau”. Stories. € 19,90 / 160 Seiten. Haymon, Innsbruck 2014