Tabus scheinen in unserer überinformierten Medienalltagswelt vom Aussterben bedroht, doch fragt man bei Freunden und Bekannten nach ihrem Erbe, stößt man auf eine Mauer des Schweigens. Bist du ein Erbe? Wie hoch ist das Vermögen, das du erbst oder bereits geerbt hast? Was hat das Bewusstsein, Teil einer Erbengeneration zu sein, mit dir gemacht? Kannst du ruhigen Gewissens von den Zinsen des nicht von dir erarbeiteten Einkommens leben? Ist dir klar, dass du als Erbe einer Eigentumswohnung einen enormen Wettbewerbsvorteil gegenüber jenen genießt, die nichts geerbt haben und zum Teil die Hälfte ihres Einkommens für ihre Mietwohnungen aufwenden müssen?
All diese Fragen verpuffen zumeist in einem Raum der Sprachlosigkeit, der das Erben umgibt. Über Geld spricht man in Österreich nicht, und über das Erbe schon gar nicht. Und doch wäre es an der Zeit eine breite Debatte über vererbte Privatvermögen zu beginnen und die damit steigende Vermögensungleichheit zu thematisieren. Besaßen in den 70er Jahren die ÖsterreicherInnen ca. doppelt so viel wie das jährliche BIP, übersteigen die Privatvermögen heute das jährliche BIP etwa um das Vierfache. Die Romane und Theaterstücke des 19. Jahrhunderts sind bevölkert von Erbschleichern, reichen Erbtanten und Heiratsschwindlern, die des Geldes wegen heiraten, und viele Daten deuten darauf hin, dass sich unsere Gesellschaft wieder in Richtung einer Erbengesellschaft bewegt. Wie Thomas Piketty in seinem Monumentalwerk „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ aufzeigt, betrug zwischen 1820 und 1910 in Frankreich die jährliche Erbschaftssumme bis zu 25% des Volkseinkommens. Lag dieser Wert Anfang der 50er Jahre bei 5%, soll er bis zum Jahr 2050 wieder jenen horrenden Wert des 19. Jahrhunderts erreicht haben. Und die Situation in Österreich dürfte, trotz der diffusen Datenlage, ähnlich aussehen. Zweifelsohne bewegen sich die westlichen Demokratien schleichend, so die einhellige Diagnose vieler Wirtschaftsexperten, von meritokratischen hin zu Rentiersgesellschaften, selbst der Milliardär Warren Buffett warnte im Jahr 2007, als George W. Bush die Erbschaftssteuer kippen wollte, die USA liefen Gefahr, zu einer dynastischen Plutokratie zu werden. Die Folgen einer solchen Rentiersgesellschaft liegen auf der Hand: Die Abkehr von einem meritokratischen Gesellschaftsvertrag untergräbt auch das demokratische Grundprinzip, laut dem soziale Ungleichheit durch Bildung, eigene Leistung und Arbeit wettgemacht werden könnte. Eine Erbengesellschaft fußt vorwiegend auf dem Status der Eltern und nicht auf dem eigenen Fleiß oder kreativen Ideen, die in eine sozial mobile Gesellschaft eingebracht werden könnten. Mit der enormen Wertsteigerung der Privatvermögen schwillt die Debatte um eine gerechte Vermögensbesteuerung auch in Österreich immer wieder an: 17 Milliarden Euro werden in Österreich jährlich an reinem Geldvermögen vererbt, weitere zehn Milliarden an Immobilienwerten gehen jährlich von einer Generation auf die andere über. Und das alles steuerfrei, da die Schenkungs- und Erbschaftssteuer 2008 abgeschafft wurde. Mit der Erhöhung der Grunderwerbssteuer zum 1.1.2016 wurde, so lauteten die Vorwürfe, die Erbschaftsteuer durch die Hintertür wieder eingeführt. Zurecht, erklärten die Befürworter von Vermögenssteuern, galt Österreich doch europaweit als Steuerparadies für Erben. Bei der Besteuerung von Vermögen liegt Österreich in der Tat weit zurück: 0,6% des BIP flossen im Jahr 2012 aus vermögensbezogenen Steuern in die Staatskasse, ein Wert, der nur von 4 Staaten in der OECD unterschritten wurde. Die Finanzämter in Frankreich und Großbritannien kassierten hingegen 4% ihrer Einnahmen aus Steuern auf Vermögen. Ungeachtet der steuerlichen Debatte ist der Kampf um das Erbe längst Wirklichkeit geworden. Immer häufiger brechen gerichtsanhängige Streiterein, ja regelrechte Erbfolgekriege um die Früchte des Wirtschaftswunders aus, und lassen Geschwister oder sogar die eigenen Eltern zu Feinden werden. Auch ältere Menschen stehen immer mehr als Erblasser und Objekte der Gebierde im Fokus potentieller Erben. Um ihren funktionierenden Verstand alias ihre Testierfähigkeit festzustellen, werden Psychiater und Neurologen von enterbten Verwandten hinzugezogen, sie werden zwangsweise besachwaltet, wenn zu befürchten ist, dass sie von Erbschleichern beeinflusst werden, und bisweilen wird sogar bei ihrem Tod auch von PflergerInnen und ÄrztInnen etwas nachgeholfen, wenn dicke Bankkonten, Juwelen oder Immobilien locken. Bei all diesen besorgniserregenden Fakten stellt sich die Frage, wie individuelle und gesellschaftliche Konzepte aussehen könnten, um diesen Generationenkonflikt zu entschärfen? Wie könnte ein gesellschaftspolitisches Bewusstsein für das Thema Vermögen und Vermögensübergabe geschaffen werden, das (einigermaßen) frei von Neid, Ressentiments und neu aufflammendem Klassenkampf gezeichnet wäre? Im Zuge der gegenwärtigen ökonomischen Krise, in der die Einkommen stagnieren oder schrumpfen, und die Mietpreise, von denen wiederum Rentiers, Rentenfonds von Versicherungen oder Spekulanten profitieren, stetig steigen, wäre es an der Zeit, die Basis jeder Demokratie, den meritokratischen Grundvertrag, neu auszuverhandeln. Die Zeit dazu wäre reif, allein, der Rest ist Schweigen.
Generation Erben – das Vermächtnis des Wirtschaftswunders